Arbeiten im Hamsterrad macht krank

26. Juni 2018

Ein geflügeltes Wort sagt, dass die Mitarbeiter das wichtigste und größte Kapital eines Unternehmens sind. Demnach müsste der Arbeitnehmerschutz an erster Stelle eines jeden Betriebs stehen. Die Zahlen, die Dr. Beate Beermann, Fachbereichsleiterin bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), zum Betriebs- und Personalrätegespräch mitgebracht hatte, sagen hingegen etwas anderes: so führen gerade einmal 50% aller Betriebe in Deutschland eine Gefährdungsbeurteilung durch, obwohl diese im Arbeitsschutzgesetz vorgeschrieben ist.

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Die Arbeitsschutzexpertin war auf meine Einladung aus Dortmund nach Lohr gekommen, um mit Betriebs- und Personalräten aus Main-Spessart und Würzburg sowie Interessierten über Auswirkungen des Wandels der Arbeitswelt auf die Beschäftigten zu diskutieren. Dabei standen psychische Belastungen und Überforderungen im Mittelpunkt des Vortrages und der Diskussion. Kein Wunder, denn allein im Zeitraum 2002 bis 2014 haben sich die Arbeitsunfähigkeits(AU)-Tage durch psychische und Verhaltensstörungen verdoppelt, wie Dr. Beermann anhand wissenschaftlicher Erhebungen aufzeigte. Eine Gefährdungsbeurteilung finde in diesen Bereichen kaum statt. Mögliche Stressfaktoren im Rahmen der zunehmenden Arbeitsintensität lägen häufig aber auf der Hand und seien auch erforscht: Das gleichzeitige Betreuen verschiedenartiger Arbeiten, häufige Störungen bzw. Unterbrechungen bei der Aufgabenbewältigung oder hoher Termindruck und ein damit verbundenes Sehr-schnell-arbeiten-müssen, sind die häufigsten Stressoren.

Hinzu komme die Arbeitszeitgestaltung, die erheblichen Einfluss auf die Belastung der Beschäftigten habe. Atypische Arbeitszeiten, wie Schichtdienste, Rufbereitschaften und die erweiterte Erreichbarkeit durch moderne Kommunikationsmittel führen dazu, dass die Grenzen zwischen Arbeitszeit und Freizeit verwischen. Planbare Arbeitszeiten seien heute ein wichtiges Kriterium in Stellenangeboten – gerade im Gesundheitswesen, berichteten die Gewerkschafter, die sich mit einem Appell gegenseitig bestärkten: „Unsere Aufgabe als Betriebs- und Personalräte ist es, dafür zu sorgen, dass sich die Arbeitswelt gerade nicht weiter entgrenzt und dass wir Kolleginnen und Kollegen vor Selbstausbeutung schützen.“ Einig waren sich die Gewerkschafter, dass eine Antistressverordnung, wie von der IG Metall bereits 2014 gefordert, eine gute Sache wäre. Dem stimmte auch der SPD-Kreisvorsitzende und Landtagskandidat Sven Gottschalk zu, der im Rahmen seiner Tätigkeit im Gesundheitsmanagement Firmenmitarbeiter in ganz Main-Spessart betreut und die typischen Probleme kennt.

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Flexible Arbeitszeiten hätten aber auch ihre positiven Seiten, erklärte Beermann und verwies auf das Gleitzeit-Modell, nach dem gut 40% der Beschäftigten arbeiten und dieses durchgehend positiv bewerten. Kurzfristig die Arbeitsstätte zu verlassen, um beispielsweise die Kinder von der Schule abzuholen, sei eindeutig ein Mehrwert, so die einhellige Meinung. Grundsätzlich komme es darauf an, inwiefern der Einzelne das selber beeinflussen könne. Als Konsumenten müsse man sich aber auch an die eigene Nase fassen und sei verantwortlich dafür, wenn Arbeitnehmer beispielsweise in Dienstleistungsunternehmen oder in der Gastronomie zu abträglichen Zeiten arbeiten müssten. Lebhaft diskutierten die Teilnehmer noch zahlreiche Aspekte zum Thema, wie den Fachkräftemangel, Crowdworking-Initiativen, Leiharbeit oder Outsourcing – wohlwissend, dass es auf viele Fragen, die Arbeitswelt betreffend, kaum allgemeingültige einfache Antworten gibt.

Auch das Main-Echo berichtete zum Betriebs- und Personalrätegespräch:
Main-Echo_Stressige neue Arbeitswelt - Arbeitsschutz: Expertin informiert über Wandel und Auswirkungen auf Beschäftigte

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