Enthüllung der Gedenktafel für die fünf erschossenen Kriegsgefangenen in Rieneck

30. März 2015

Gestern wurde in Rieneck im Rahmen einer feierlichen Gedenkstunde der Stein zur Erinnerung an die fünf sowjetischen Kriegsgefangenen, die 1945 dort erschossen wurden, enthüllt.

Ich habe auf dieser Veranstaltung eine Rede gehalten, die Sie hier lesen oder als pdf-Datei abspeichern (PDF, 117 kB) können.

Sehr geehrter Herr Bürgermeister, sehr geehrte Damen und Herren des Stadtrates, sehr geehrte Frau Krutsch, meine Damen und Herren, liebe Rienecker,

mir ist es wichtig, dass ich heute dabei sein kann und auch ein paar Worte sprechen darf. Vielen herzlichen Dank dafür. Es ist mir deshalb wichtig,

weil ich als Kind fast täglich bei meinen Großeltern hier ganz in der Nähe war und sehr oft in der Fließenbach, Trockenbach und der Sternhecke gespielt habe.

Weil ich ebenfalls als Jugendlicher immer wieder mal von diesem Verbrechen gehört habe, aber auch feststellen musste, dass man gar nicht so gern darüber spricht, schon gar nicht öffentlich.

Weil es mir ein inneres Bedürfnis ist, zu gedenken. Ich tue dies nicht nur heute und hier. Im Sommer letzten Jahres habe ich mich dafür eingesetzt, dass unserm jüdischen Mitbürger gedacht wurde, der für unser Vaterland im ersten Weltkrieg gefallen ist. Wir haben eine Tafel am Ehrenfriedhof in Gemünden angebracht und ich habe den Wehrbeauftragten eingeladen einen Kranz niederzulegen.

Sehr geehrte Damen und Herren, es ist unsere Aufgabe zu gedenken und zu erinnern,

• den fünf jungen russischen Soldaten, die ihr Leben eigentlich noch vor sich hatten und zurück zu Ihren Familien wollten,

• den 13 bis 17 jährigen Jugendlichen, die vielleicht selbst um Ihr Leben fürchten und die Tat ausüben mussten. Waren es Täter oder eher Opfer des Nationalsozialismus, der die eigene Bevölkerung in Geißelhaft genommen hat. Ich weiß nicht, wie viele Nächte sie zeitlebens diese Tat immer wieder in Gedanken durchleben mussten. Wie wird man fertig damit? Wie hätten wir uns damals verhalten? Wir wissen es nicht. Hätten wir die Kraft gehabt, uns dem Zeitgeist, den Nationalsozialisten entgegenzustellen. Ich glaube, es steht uns kein moralisches Urteil zu. Unsere Verpflichtung besteht darin, dass die Opfer nicht vergessen werden und dass so etwas nie wieder passiert.

• Und wir sind es uns selber schuldig. Meine Generation und die meiner Kinder und Kindeskinder stehen nicht in der Schuld, aber wir stehen in der Verantwortung zu erinnern und täglich für Frieden und Freiheit einzutreten. Die Demokratie ist die einzige Staatsform, die täglich neu erlernt werden muss. Wir müssen unsere Jugend stark machen, politische Vorgänge kritisch zu hinterfragen und sich nicht missbrauchen zu lassen. Wir dürfen dem Herrgott danken, dass wir heute die Freiheit haben, politische Vorstellungen frei zu äußern, ohne Zwang und Gewalt ausgesetzt zu sein. 20 Geschichtsstunden für die Zeit des 2. Weltkrieges reichen nicht aus. Nur 20% der europäischen Schüler wissen, dass Auschwitz ein Konzentrationslager war. Wir müssen solche Gedenktafeln oder Gedenksteine in unserem Herzen haben. Deshalb ist der Aufstellort für mich auch nur nachgeordnet.

Wir gehen in die Karwoche. Lasst uns diesen Tag heute zu einem versöhnlichen und friedlichen Tag werden, der uns nicht belastet, sondern bereichert und vielleicht auch ein bisschen befreit.

Ich möchte schließen mit zwei Zitaten.

Dietrich Bonhoeffer hat gesagt: „Wie vergeben wir das Böse? Indem wir es vergeben ohne Ende. Wie geschieht das? Indem wir den Feind sehen als den, der er in Wahrheit ist, als den für den Christus starb, den Christus liebt“.

Richard von Weizsäcker hat in seiner Rede am 8. Mai 1985 vor dem Deutschen Bundestag einen wundervollen Satz ausgesprochen: „Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart“

Vielen Dank.

Rede_290315 (PDF, 117 kB)

Teilen