Fragen und Antworten zum Dritten Bevölkerungsschutzgesetz

23. November 2020

Der Bundestag hat das Dritte Bevölkerungsschutzgesetz verabschiedet. Wie werden mit dem Gesetz die Grundrechte der Bürger geschützt? Wieviel Mitsprache hat der Bundestag jetzt? Gibt es eine Impfpflicht? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Da die in den Ländern beschlossenen Corona-Schutzmaßnahmen teilweise massiv in die Grundrechte der Bürger*innen eingreifen, hat die SPD-Bundestagsfraktion von Anfang an einen klareren und bundesweit einheitlichen gesetzlichen Rahmen für die Corona-Schutzmaßnahmen der Länder gefordert und in den parlamentarischen Beratungen auch durchgesetzt. Mit dem Dritten Bevölkerungsschutzgesetz, das am Mittwoch beschlossen wurde, werden dazu Anpassungen im Infektionsschutzgesetz (IfSG) vorgenommen.

Die derzeitige Lage ist in jeglicher Hinsicht außergewöhnlich: Zur Bekämpfung der Corona-Pandemie ist eine weitreichende Reduzierung von Kontakten erforderlich, da sich das Virus oftmals symptomfrei und daher zunächst unerkannt weiterverbreitet. Bei wem sich ein schwerer Verlauf entwickelt, lässt sich im Vorwege nicht sagen. Insbesondere ältere Menschen und Menschen mit chronischen Erkrankungen sind darum auf ein solidarisches Handeln der gesamten Gesellschaft angewiesen. Aber auch jüngere Menschen haben teilweise mit massiven Spätfolgen einer COVID-19-Erkrankung zu kämpfen, die es zu verhindern gilt. Den Staat trifft diesbezüglich eine Pflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zum Schutz von Gesundheit und Leben.

Zur Erfüllung dieser grundgesetzlichen Pflicht ergreifen die Landesregierungen derzeit umfangreiche Schutzmaßnahmen, die eine unkontrollierte Weiterverbreitung des Coronavirus verhindern sollen. Diese sind notwendig, um die zweite Infektionswelle zu brechen, die trotz des erheblich ausgeweiteten Schutzes vulnerabler Gruppe zu einer Zunahme der schweren Verläufe und Todesfälle geführt hat und unser Gesundheitssystem an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit treibt. Notwendig ist es aber auch, die Maßnahmen kontinuierlich auf ihre Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit hin zu überprüfen. Dabei dürfen nicht nur gesundheitspolitische Ziele eine Rolle spielen, sondern auch die sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen. Der Bundestag hat die Pflicht, die Regierung zu kontrollieren und den Spielraum, innerhalb dessen sich die Regierung bewegen darf, präzise zu definieren. Genau diese Aufgabe wird mit dem Dritten Bevölkerungsschutzgesetz erfüllt.

Was wurde mit dem 3. Bevölkerungsschutzgesetz geändert?

Neu ist ein § 28a im Infektionsschutzgesetz (IfSG). Ziel der Änderungen am Infektionsschutzgesetz ist es, einen effektiveren Grundrechtsschutz für die Bürgerinnen und Bürger, eine stärkere parlamentarische Kontrolle der Exekutive und mehr Rechtssicherheit im Corona-Krisenmanagement zu erreichen. Hierzu wird in dem Dritten Bevölkerungsschutzgesetz in einem neuen § 28a IfSG konkretisiert, unter welchen Voraussetzungen, welche Grundrechte wie lange und zu welchem Zweck im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie eingeschränkt werden dürfen. Bislang sah das Gesetz eine sehr weite Generalklausel vor. Dieser Spielraum wird nun durch den Deutschen Bundestag auf Drängen der SPD inhaltlich und prozessual eingeengt und die Bundesregierung dem Bundestag gegenüber einer regelmäßigen Berichtspflicht über die Entwicklung der Pandemie unterworfen.

Darüber hinaus werden Anpassungen im Infektionsschutzgesetz vorgenommen, um die Länder, die Gesundheitsämter, die Krankenhäuser oder die Pflege-, Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen bei der Bekämpfung der Pandemie weiter zu unterstützen. Vorbereitet wird außerdem der Start der Impfstrategie zum 16. Dezember, die Testkapazitäten werden erhöht, beispielsweise durch die Einbeziehung der veterinärmedizinischen Labore, und die Überwachung der Impfungen in den Impfzentren wird sichergestellt.

Außerdem werden die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Krankenhäuser noch im Dezember weitere finanzielle Hilfe erhalten können. Das ist wichtig, weil Krankenhäuser zunehmend COVID-19-Patienten zu behandeln haben und dafür die notwendigen personellen und sachlichen Kapazitäten bereithalten müssen.

Was hat es mit der Aufzählung von Grundrechten im §28a IfSG auf sich?

Statt einer unbestimmten Generalklausel beschreibt der neue § 28a IfSG 17 konkrete Maßnahmen, die einzeln oder zusammen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 ergriffen werden können. Diese Maßnahmen wurden auf Grundlage der Erfahrungen der Länder in der Virusbekämpfung ausgewählt, sie wurden und werden von ihnen bereits angewandt (z.B. Anordnung eines Abstandsgebots im öffentlichen Raum, Verpflichtung zur Erstellung und Anwendung von Hygienekonzepten, Untersagungen und Beschränkungen von Sportveranstaltungen oder Schließungen oder Beschränkungen des Betriebs von gastronomischen Einrichtungen). Die Landesregierungen erhalten so konkretere rechtliche Leitplanken, innerhalb derer sie sich bewegen dürfen. Für besonders grundrechtssensible Bereiche wie die Religions- oder Versammlungsfreiheit gelten besonders strenge Maßstäbe. Sie können nur eingeschränkt werden, wenn eine wirksame Eindämmung des Corona-Virus auf andere Art nicht gewährleistet werden kann. Das gilt auch für die Anordnung von Ausgangssperren (nach denen das Verlassen der Wohnung nur zu bestimmten Zeiten oder zu bestimmten Zwecken zulässig wäre) oder für Besuchsverbote in Einrichtungen wie Alten- und Pflegeheimen oder Krankenhäusern.

Außerdem wird klargestellt, dass die Länder bei Entscheidungen über Schutzmaßnahmen auch soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen auf den Einzelnen und die Allgemeinheit zu berücksichtigen haben und dass Schutzmaßnahmen nur angeordnet werden können, solange und soweit es für eine wirksame Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist. Damit wird der Verordnungsgeber zu einer strikten Wahrung der Verhältnismäßigkeit gezwungen. Auch eine Regelung zur Kontaktdatenerhebung ist enthalten: Der Bundestag gibt den Landesregierungen vor, dass Daten nur zum Zwecke der Nachverfolgung erhoben werden dürfen und diese spätestens vier Wochen nach Erhebung zu löschen sind.

Darüber hinaus enthält das Gesetz Verfahrensvorschriften. So müssen die Rechtsverordnungen der Länder, mit denen Corona-Schutzmaßnahmen angeordnet werden, in Zukunft begründet werden. Dies hat nicht nur den ganz großen Vorteil, dass alle Bürgerinnen und Bürger die Erwägungsgründe besser nachvollziehen können. Es führt auch dazu, dass die jeweilige Landesregierung bei Erlass der Verordnung die Erforderlichkeit der Maßnahmen nochmals eingehend prüfen muss. Die Maßnahmen sind in Zukunft auch grundsätzlich auf zunächst vier Wochen zu befristen und können nur mit einer erneuten Entscheidung der Landesregierung verlängert werden.

Diese Verbesserungen des Grundrechtsschutzes sind entscheidend auf die Initiative der SPD zurückzuführen. In den parlamentarischen Beratungen wurde außerdem durchgesetzt, dass eine weitreichende Befugniserweiterung für den Bundesgesundheitsminister eingegrenzt wurde.

Sind die Maßnahmen auf Dauer angelegt?

Nein. Die Möglichkeit, Schutzmaßnahmen nach § 28a IfSG zu ergreifen, ist an die Feststellung der epidemischen Lage nationaler Tragweite durch den Deutschen Bundestag gekoppelt. Auch darüber hat der Deutsche Bundestag am 18.11.2020 erneut abgestimmt und die Feststellung, zunächst befristet bis 31.03.2021, bestätigt. Wenn diese Situation dann nicht erneut festgestellt werden muss, entfallen auch die an die Pandemie gebundenen Maßnahmen und Einschränkungen.

Auch für die „epidemische Lage nationaler Tragweite“ wurde eine gesetzliche Klarstellung eingefügt. Sie setzt voraus, dass entweder die WHO weiterhin eine Pandemie ausgerufen hat oder eine dynamische Ausbreitung einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit über mehrere Länder in Deutschland stattfindet. Nach § 2 Abs. 3a IfSG ist eine bedrohliche übertragbare Krankheit eine solche, die auf Grund klinisch schwerer Verlaufsformen oder ihrer Ausbreitungsweise eine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit verursachen kann. Auch dieser Begriff ist damit definiert und rechtlich überprüfbar. Ein Schnupfen erfüllt die Kriterien nicht.

Ermöglicht das Gesetz die Einführung einer Impfpflicht?

Nein. Eine Impfpflicht wird im 3. Bevölkerungsschutzgesetz nicht geregelt und ergibt sich auch nicht mittelbar aus dem Gesetz. Richtig ist, dass die Bundesregierung in § 36 Abs. 10 IfSG eine Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung erhält, mit der Menschen, die nach Deutschland einreisen und einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt waren, zur Vorlage einer Impfdokumentation verpflichtet werden können. Das heißt aber nicht, dass ungeimpfte Menschen – z.B. Deutsche, die in Risikogebieten Urlaub machen wollen oder gemacht haben - nicht wieder einreisen dürften, ohne sich impfen zu lassen. Für diese Einreisenden gelten dann aber weiter die Sicherheitsbestimmungen wie Quarantäne und Testpflicht.

Womöglich schon im Dezember wird in Deutschland ein SARS-CoV-2-Impfstoff zur Verfügung stehen, auf den dann, in einem ersten Schritt für bestimme Bevölkerungsgruppen, ein Anspruch besteht. Wie bei allen Schutzimpfungen wird auch die gegen SARS-CoV-2 in den Unterlagen der impfenden Ärzt*innen und in einem persönlichen Dokument aufgezeichnet werden (z.B. Impfausweis). Falls die Bundesregierung eine Rechtsverordnung erlässt, die die Vorlage einer Impfdokumentation vorsieht, ist auch die an das Fortbestehen der epidemischen Lage von nationaler Tragweite in § 5 IfSG geknüpft und würde außer Kraft treten, wenn die Lage nicht mehr besteht. Es wird noch einmal ganz klargestellt: Mir dem 3. Bevölkerungsschutzgesetz wird ein Anspruch auf die Schutzimpfung geregelt. Eine Impfpflicht ergibt sich hieraus nicht. Eine Impfpflicht stand und steht nicht zur Debatte.

Warum waren die Änderungen erforderlich?

Die Rechtsprechung hat bestätigt, dass zu einer Zeit, in der über Art und Ausmaß der Gefährlichkeit von COVID-19 sowie über die zu ihrer Abwehr ergreifenden Maßnahmen Unklarheit herrscht, erforderliche Schutzmaßnahmen zunächst auch auf eine Generalklausel gestützt werden können. Weil aber immer deutlicher ist, dass die Pandemie uns länger begleiten wird und die Eingriffe kein kurzfristiges Provisorium mehr darstellen, ist es verfassungsrechtlich notwendig, das Corona-Krisenmanagement auf eine konkretere gesetzliche Grundlage zu stellen, die Vorgaben macht und Grenzen zieht. Das war spätestens dann klar, als eine zweite Infektionswelle sich abzeichnete.

Wie wird eine stärkere Rolle des Bundestages sichergestellt?

Durch den Beschluss des Dritten Bevölkerungsschutzgesetzes gibt der Bundestag den Landesregierungen konkretere rechtliche Leitplanken vor. Zukünftig muss die Bundesregierung den Bundestag regelmäßig über die Entwicklung der epidemischen Lage unterrichten, was ein wichtiges Instrument der parlamentarischen Kontrolle ist. Ein informiertes Parlament kann kritischere Fragen stellen, konkretere Position beziehen und wenn nötig die Bundesregierung zu einem bestimmten Handeln auffordern oder sogar Entscheidungen der Bundesregierung per Gesetz zurückholen.

In den sozialen Netzwerken ist von einem Ermächtigungsgesetz die Rede, stimmt das?

Der hier gezogene Vergleich ist für uns Sozialdemokratinnen und -demokraten unerträglich. Mit dem Ermächtigungsgesetz begann die Nazi-Diktatur, die im Holocaust endete. Dieser Vergleich ist ein Hohn für alle Opfer des Nationalsozialismus.

Er ist auch inhaltlich falsch: Das Parlament macht den Landesregierungen mit dem Dritten Bevölkerungsschutzgesetz strengere Vorgaben, als dies bislang der Fall war. Es handelt sich also eher um ein Begrenzungsgesetz. Auch hat das Parlament in den Verhandlungen auf eine Streichung des viel zu weiten § 5 Abs. 2 Nr. 3 IfSG gedrungen, der bislang dem Bundesgesundheitsminister weitreichende Befugnisse eingeräumt hatte. Die Befugnisse der Regierung werden also deutlich reduziert.

Es wird auch behauptet, dass alle Corona-Maßnahmen seit März 2020 verfassungswidrig gewesen seien, stimmt das?

Nein.

Die Rechtsprechung hat bestätigt, dass zu einer Zeit, in der über Art und Ausmaß der Gefährlichkeit von COVID-19 sowie über die zu ihrer Abwehr ergreifenden Maßnahmen Unklarheit herrscht, zur effektiven Gefahrenabwehr Schutzmaßnahmen zunächst auch auf eine Generalklausel gestützt werden können. Eine solche Generalklausel zum Infektionsschutz findet sich in § 28 IfSG. Hierin hatte der Bundesgesetzgeber bewusst eine offene Formulierung gewählt, um den Infektionsschutzbehörden insbesondere bei einem dynamischen Infektionsgeschehen ein möglichst breites Spektrum geeigneter Maßnahmen an die Hand zu geben. Dass § 28 IfSG bislang eine taugliche Rechtsgrundlage war, haben mehrere Oberverwaltungsgerichte bestätigt. Weil sich jetzt aber abzeichnet, dass die Eingriffe kein kurzfristiges Provisorium mehr darstellen, sondern möglicherweise länger andauern, ist es verfassungsrechtlich notwendig, das Corona-Krisenmanagement auf eine konkretere gesetzliche Grundlage zu stellen, die Vorgaben macht und Grenzen zieht. Dieser Zeitpunkt kam für uns in dem Moment, in dem absehbar war, dass es eine zweite Infektionswelle geben wird.

Stimmt es, dass mit dem Dritten Bevölkerungsschutzgesetz der Einsatz der Bundeswehr im Innern geregelt wird?

Nein.

Auch im bisher geltenden Infektionsschutzgesetz gab es die angesprochene Vorschrift, § 54 a IfSG „Vollzug durch die Bundeswehr“, bereits. Hier geht es nicht darum, dass die „Bundeswehr im Rahmen einer Pandemie in Deutschland gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt“ werden soll. Die Vorschrift richtet sich ausschließlich nach innen, in die Bundeswehr hinein. Zweck der Vorschrift ist es, den Infektionsschutz von Soldatinnen und Soldaten zu gewährleisten. Für den Infektionsschutz der Soldatinnen und Soldaten sind nicht die öffentlichen Gesundheitsämter, sondern ist die Bundeswehr selbst zuständig. Die Anpassung des § 54a IfSG war notwendig, um Zuständigkeitsfragen innerhalb der Bundeswehr z.B. im Zusammenhang mit landkreisübergreifenden Übungen sowie für Angehörige ausländischer Streitkräfte und für Soldatinnen und Soldaten außerhalb ihrer Dienstausübung zu klären. Die Regelungen dienen dazu, die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr auch während einer Pandemie aufrechtzuhalten. Die Besonderheiten des militärischen Auftrages erfordern besondere Maßnahmen (z.B. Quarantäne vor oder nach einem Auslandseinsatz), die von den zuständigen Stellen der Bundeswehr mit den öffentlichen Gesundheitsbehörden abgestimmt werden müssen.

Wer die gesamte Debatte vom 18.11.2020 im Deutschen Bundestag zum "Dritten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite" nachlesen möchte, kann dies hier tun:
Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 19/191

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