Schnelllebige Geschichte: Realschüler erhalten Einblick in den Alltag der DDR

22. Juni 2018

Auf meine Initiative hin macht die Fotoausstellung „Voll der Osten“ bis zum Ende des Monats Station in der Staatlichen Realschule Gemünden. Die Fotos des mehrfach ausgezeichneten Fotografen Harald Hauswald zeigen sehr realitätsnah und schonungslos typische Alltagssituationen aus dem deutschen Arbeiter- und Bauernstaat. Die Bilder werden durch die Texte des ebenso wie Hauswald in der DDR aufgewachsenen Historikers und DDR-Forschers Stefan Wolle erläutert.

2018-06-18 Voll der Osten, Gemünden
Eine Reise in die Deutsch-Deutsche Vergangenheit: Schulleiter Thomas Feser, Bundestagsabgeordneter Bernd Rützel, Zeitzeugin Carina Amersbach und Lehrer Uli Ammersbach bei der Ausstellungseröffnung „Voll der Osten“.

Eigene Erfahrungen durch Verwandtschaft im Osten

Nach der Begrüßung durch Schulleiter Thomas Feser und Lehrer Uli Ammersbach berichtete ich, wie präsent das Thema DDR auch in der Nachkriegszeit im Westen von Deutschland, in der Bundesrepublik, war. Weil mein Großvater aus Chemnitz stammte, war auch in der Zeit des Eisernen Vorhangs der Kontakt zur Verwandtschaft nicht abgerissen. Wie Millionen andere haben wir selbstverständlich zu den Festtagen ein Päckchen mit Kaffee, Schokolade und anderen Dingen geschickt, die es in der Deutschen Demokratischen Republik nicht in den staatlichen Konsumläden gab, im Gegenzug erhielten wir Holzspielzeug aus dem Erzgebirge.

Mich selbst hat das als Jugendlicher wenig verwundert, „es war halt so“, aber die Menschen, deren Familienmitglieder oder nächsten Angehörigen getrennt in beiden Teilen Deutschlands lebten, haben natürlich sehr unter der Trennung gelitten. Die Teilung ist letztendlich die Folge des aus dem Nationalsozialismus entstandenen schrecklichen Weltkrieges gewesen. In diesem Zusammenhang appellierte ich an die Jugendlichen, sich für die Demokratie einzusetzen, sich einzumischen und auch selbstbewusst zu widersprechen, wenn Werte wie Menschenwürde, Toleranz und Meinungsfreiheit gefährdet sind.

Bunte Kindheit und geringe Lebenshaltungskosten

Ich hatte auch den Kontakt zur Zeitzeugin Carina Amersbach hergestellt, die anschließend von ihrer Kindheit und Jugendzeit berichtete. Sie lebte mit ihrer Familie in ländlicher Umgebung 30 Kilometer von Berlin entfernt und kehrte spontan 1989 zusammen mit Freunden nach einem Urlaub in Ungarn, noch vor der offiziellen Grenzöffnung, der DDR den Rücken. Man habe zu dem Zeitpunkt ja nicht gewusst, dass die Grenzen auch in Deutschland geöffnet werden und wie die Sache ausgeht.

2018-06-18 Voll der Osten, Gemünden - vor klasse
Gebannt lauschten die Schülerinnen und Schüler unseren Ausführungen und stellten zahlreiche Fragen.

In ihrem Rückblick erinnerte Amersbach zunächst an die geschichtliche Entwicklung, die hohen Reparationsleistungen an die Sowjetunion und die Umstrukturierung von Industrie und Landwirtschaft für das sozialistische System der im Oktober 1949 gegründeten DDR. Im Gegensatz zu den schwarz-weißen Fotos der Ausstellung habe sie an ihre Zeit in der DDR durchaus farbige Erinnerungen. Nicht alle Kinder waren in der Krippe und im Kindergarten, sie ebenfalls nicht. Aber in der Schulzeit war man selbstverständlich bei den Pionieren, freute sich auf das rote Halstuch, dann das blaue FDJ-Hemd und die Jugendweihe. In der Schule war Russisch gern gelerntes Pflichtfach und Mangelware kannte man als Kind nicht, solange man Essen, Trinken, Süßigkeiten und tolle Geschenke bekam. „Die Mutter nähte bunte Kleider und auf eine Jeans von Levi’s mussten meine Geschwister und ich später auch nicht verzichten.“ Dass man durch das West-Fernsehen gut informiert war, wurde in der Schule allerdings lieber nicht erwähnt, weil der Klassenfeind im Westen ja nur Schlechtes wollte. Das Thema Stasi war in ihrem Lebensbereich ebenfalls nicht wirklich präsent. Allerdings wusste man schon, dass der Staat alles im Blick hat. So wurde ihr Vater einmal darauf aufmerksam gemacht, dass es besser sei, wenn seine Kinder die Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“ nicht tragen würden. Das ganze Ausmaß der Stasiaktivitäten wurde erst nach der Grenzöffnung bekannt.

Die Fragen der Schüler nach dem Urlaub, den Arbeitsverhältnissen und allgemeinen Lebensgewohnheiten beantwortete der Gast ebenfalls. Urlaub wurde nur innerhalb der DDR-gemacht, weniger im doch recht teuren Ungarn. Arbeiten musste praktisch jeder, ob er wollte oder nicht, „da gab es schon Mittel und Wege“. Der Lohn nach der Lehrzeit betrug etwa 600 Mark, womit man eigentlich zurecht kam. Die Fahrt mit der S-Bahn kostete nur 20 Pfennige. Allerdings hatten die Staatsbürger, die der Partei nahestanden, schon Vorteile, was aber nie richtig publik wurde.

Zum Schluss musste Amersbach noch schmunzeln, als sie erzählte, wie die Westdeutschen nach der Grenzöffnung meinten, sie müssten den DDR-Bürgern unbedingt Bananen bringen. Und jetzt denke sie, dass der Überfluss heutzutage auch dafür sorgt, dass man die Wertschätzung und die Freude an einfachen Dingen verliert.

Teilen