Sind wir zu faul?
Für sich selbst würden die meisten von uns diese Frage mit Nein beantworten. Wenn es aber um andere geht, sieht die Antwort bei manchen anders aus.
In den Zeitungen und politischen Talkshows ist mal wieder ein Dauerbrenner aus der Mottenkiste hervorgeholt worden: Sind die Deutschen zu faul und müssen mehr arbeiten? Als Beleg wird der Rückgang der Pro-Kopf-Arbeitsstunden genannt. Das liegt an der hohen Teilzeitquote in Deutschland. Die hohe Teilzeitquote heißt aber auch: In Familien, in denen früher der Vater Vollzeit Erwerbsarbeit geleistet hat und die Mutter die gesamte Carearbeit übernommen hat, wird die ganze Arbeit heute oft anders verteilt. Das macht vielleicht weniger Erwerbsarbeit pro Kopf – aber mehr Köpfe, die überhaupt sozialversicherungspflichtig arbeiten. Und auch die geleisteten Arbeitsstunden sind dadurch gestiegen.
Die Zahl der Menschen, die in Deutschland sozialversicherungspflichtig arbeiten, ist auf Rekordstand. Angesichts von 1,2 Milliarden Überstunden, die im Jahr 2024 laut Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) geleistet wurden, müssen wir jetzt dringend eine gesetzliche Regelung zur Pflicht zur elektronischen Erfassung von Arbeitszeiten schaffen. Denn mehr als die Hälfte der im letzten Jahr geleisteten Überstunden (53,6 Prozent) wurden nicht bezahlt und auch nicht mit Freizeit ausgeglichen. Das sind 638 Millionen Arbeitsstunden, die die Beschäftigten für lau gearbeitet haben. Sie wurden damit um ihr Geld geprellt.
Die 46,1 Millionen Menschen, die im Jahresdurchschnitt 2024 in Deutschland erwerbstätig waren, die im Büro, auf der Baustelle oder am Pflegebett mit ihrer Arbeit zu unserem Solidarsystem beigetragen haben, brauchen sich nicht nachsagen zu lassen, faul zu sein.
Nein, wir sind keinesfalls zu faul.